Stromverbrauch in Deutschland: Brauchen wir weniger Erneuerbare?
Deutschland wird laut Monitoringbericht der Bundesregierung 2030 weniger erneuerbaren Strom verbrauchen als geplant. Muss die Regierung jetzt ihre Ausbauziele korrigieren? Im Januar 2020 hatte das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Universität zu Köln eine Prognose zum Stromverbrauch der Zukunft veröffentlicht. Demnach soll Deutschland 748 Terawattstunden (TWh) Strom im Jahr 2030 verbrauchen – aktuell sind es rund 537 TWh/Jahr. Die damalige Ampelregierung übernahm die EWI-Prognose in ihrem Begleitpapier zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und beschloss zudem, dass 80 Prozent davon aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Wasser kommen sollen. Doch fünf Jahre später gerät diese Annahme ins Wanken: Der Stromverbrauch ist zwar gestiegen, aber weniger stark als angenommen. Der Monitoringbericht der neuen Bundesregierung , an dem auch das EWI und das Aachener Beratungsunternehmen BET beteiligt waren, geht nun nur noch von 600 bis 700 Terawattstunden Stromverbrauch im Jahr 2030 aus. Das sind rund 150 Terawattstunden weniger. Die Bundesregierung möchte daher das EEG anpassen und den Ausbau bis 2030 reduzieren. Ansonsten drohen die Kosten stark anzusteigen, vor allem bei den Netzentgelten. Aber könnte eine Korrektur am Ende die Versorgungssicherheit gefährden? Das hat das Science Media Center (SMC) drei Experten gefragt. Unerwartete Delle im Stromverbrauch Grund für den sinkenden Strombedarf der vergangen Jahre waren laut Experten vor allem zwei Krisen: die Corona-Pandemie und die Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine . Letztere ließ die Energiepreise sprunghaft steigen. Infolgedessen drosselten viele Industrieunternehmen ihre Produktion, einige verlagerten sie ins Ausland. Patrick Jochem, Energieökonom am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), teilt daher die Schlussfolgerungen des Monitoringberichts: Durch die anhaltende Wirtschaftskrise gingen industrielle Aktivitäten zurück und es kam zu einer Strukturverschiebung – weg von energieintensiven Branchen. Auch Thomas Schöb vom Forschungszentrum Jülich macht die Krisenjahre als Hauptursache für die sinkende Stromnachfrage aus: "Insbesondere zeigt die energieintensive Industrie seit 2022 einen starken Rückgang der Produktion, was zu einem Rückgang des Stromverbrauchs in der Industrie führt. Die hohen Strompreise für Industrie und Haushalte in den Jahren 2022 und 2023 dürften hierbei zur Reduktion des Strombedarfs in Gewerbe und Industrie aus wirtschaftlichen Gründen beigetragen haben." Hinzu kamen allgemeine Veränderungen, wie etwa die milderen Winter und ein bewussterer Umgang mit Energie. Sie hätten den Trend verstärkt, weiß Leonhard Gandhi vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. Zudem setzen Haushalte und Unternehmen zunehmend auf eigene Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen). "Diese sind statistisch nur schwer zu erfassen, da für den Eigenverbrauch häufig keine Meldepflicht besteht. Der Vergleich zwischen installierter Photovoltaik-Leistung und gemeldeten Einspeisemengen deutet jedoch auf eine nicht unerhebliche Lücke im Bereich von rund fünf bis zehn Terawattstunden hin, die den gemessenen Strombedarf entsprechend verringert", so der Experte. Der nächste Anstieg kommt – aber später Dauerhaft sei der Rückgang Experten zufolge aber nicht. Der Strombedarf werde wieder steigen. Nicht zuletzt durch E-Mobilität, Wärmepumpen, Rechenzentren oder die Wasserstoffproduktion. "Nach heutigem Kenntnisstand könnten E-Pkw und Wärmepumpen jeweils einen ähnlichen Aufwuchs am Strombedarf herbeiführen und damit den Bedarf der Haushalte insgesamt von heute circa 125 TWh auf circa 180 TWh ansteigen lassen", sagt Jochem. Allein zehn Millionen E-Autos könnten laut Berechnungen 30 Terawattstunden zusätzlich benötigen. In Deutschland hänge die Anschaffung von Wärmepumpen und E-Fahrzeugen allerdings stark von Subventionen und Strompreisen ab, räumt Schöb ein. Es ist also unklar, wann und wie schnell der Bedarf nach Strom ansteigen könnte. Wie viel Strom braucht Deutschland wirklich? Wie viel Strom Deutschland in Zukunft wirklich verbrauchen wird, hängt vom Tempo der Elektrifizierung ab. 600 bis 700 Terawattstunden halten die Experten für durchaus realistisch. Also weniger als die Ampelregierung annahm, aber mehr als aktuell verbraucht wird. Zwar gingen die Absatzzahlen zumindest bei Wärmepumpen leicht zuletzt zurück und liegen wie die der E-Autos unter den Erwartungen. Doch Gandhi rechnet mit einem Nachholeffekt, "da die Elektrifizierung von Wärme und Verkehr für die Erreichung der Klimaziele unverzichtbar ist." Er ergänzt: "Der erwartete strukturelle Anstieg des Stromverbrauchs wird somit mit zeitlicher Verzögerung, aber umso dynamischer einsetzen, sobald Investitionen, Förderbedingungen und Energiepreise wieder stabile Rahmenbedingungen bieten." Allerdings müssen laut Schöb auch die Energieeffizienzmaßnahmen in Haushalten, Gewerbe und Industrie berücksichtigt werden. "Ob und in welchem Umfang diese durchgeführt werden, ist jedoch stark von wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Aspekten abhängig." Zu viel oder zu wenig Ausbau: Was wäre schlimmer? Aber was würde passieren, wenn der künftige Richtwert zu hoch oder zu niedrig angesetzt ist? Wenn das System zu klein ausgelegt wird, könnten laut Schöb und Gandhi die Preise steigen und Strom nicht mehr zu jeder Zeit verfügbar sein. "Es ist daher definitiv ratsam, das Energiesystem auf einen höheren Strombedarf auszulegen, da dies für die längerfristige Zielerreichung von Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit vorteilhaft ist", so Schöb. Wird der Richtwert zu hoch angesetzt, rechnet Ökonom Jochem mit hohen Ausgaben, die dann auf den Strompreis umgelegt werden . "Vermutlich ist es teurer, wenn wir heute von einem höheren Bedarf ausgehen und somit zur Erreichung der Klimaziele mehr Erneuerbare zubauen und fossil betriebene Kraftwerke früher abschalten. Damit würde das 80-Prozent-Ziel dann 2030 übererfüllt werden." Ein hoher Richtwert und somit Ausbau könnte vor Energiekrisen wie 2022 schützen, weil ausreichend Energie vorhanden ist. Angesichts der neuen Berechnungen und der EU-Vorgaben muss die Bundesregierung die Ausbaupläne auf eine realistische und zugleich flexible Grundlage stellen. Hierfür seien starre Richtwerte nicht förderlich, so die Experten. Besser sei ihrer Meinung nach eine Bandbreitenplanung, die auf künftige Entwicklungen reagieren kann. Denn dass der Strombedarf steigt, ist sicher. Unklar ist nur, wie schnell und in welchem Umfang. "Ein Wert in der Mitte ist zunächst passend – und dank weiterer Monitorings kann man dann nachkorrigieren", resümiert DLR-Experte Jochem.
