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Finnland baut Grenzschutz nach Russland aus: "Wir sind die Frontlinie"

Finnland hat unter allen Nato-Staaten die längste Grenze zu Russland. Es ist nicht der einzige Grund, warum das Land sich auf einen möglichen Angriff vorbereitet. David Schafbuch berichtet aus Vaalimaa und Helsinki Nach und nach leert sich die Fahrbahn. Nur noch vereinzelt huschen Autos auf der Schnellstraße E18 vorbei, die sich entlang der südfinnischen Küste schlängelt. Auf der Gegenstrecke, getrennt von einem Grünstreifen, ist es noch einsamer. Leichter Regen prasselt aus dem grauen Himmel gegen die Autoscheiben. Vereinzelt weisen Straßenschilder den Weg zu einem Ort, der sich mit dem Auto von hier aus nicht mehr erreichen lässt: Pietari nennen die Finnen die Stadt, auf Deutsch: Sankt Petersburg, russische Millionenmetropole und Heimat des Präsidenten Wladimir Putin . Unweit des kleinen Ortes Vaalimaa in der Gemeinde Virolahti müssen alle Autos stoppen. Denn hier geht es seit Dezember 2023 nicht mehr weiter: Damals hat die finnische Regierung alle Grenzwege nach Russland geschlossen. In den vier Monaten zuvor hatten von dort mehr als 1.300 Geflüchtete versucht, nach Finnland zu gelangen. Die Regierung in Helsinki vermutet, dass Russland die Menschen absichtlich schickte, um das finnische Migrationssystem zu überfordern. So wie dies auch Belarus an der Grenze zu Polen noch immer tut. Ostsee-Raum: Darum nimmt Putin Dänemark ins Visier Tagesanbruch: Sie zeigen Deutschland, wie Verteidigung geht Die finnische Regierung befürchtet, dass es in den kommenden Jahren nicht bei Störaktionen mit Geflüchteten bleibt. Seit Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine warnt sie regelmäßig, dass Russland auch weitere Nachbarstaaten angreifen könnte. Denn vertraut haben die Finnen ihren östlichen Nachbarn nie. Zu häufig schon wurden sie in der Vergangenheit von Russland angegriffen. Mehr als 30 Kriege habe es zwischen beiden Ländern seit dem Mittelalter gegeben, betont der finnische Präsident Alexander Stubb gern. In ihrer Einschätzung fühlen sich die Finnen längst bestätigt – nicht erst seit den regelmäßigen Verletzungen des europäischen Luftraums in den zurückliegenden Wochen. Für Innenministerin Mari Rantanen ist daher klar: "Wir sind die Frontlinie." Rund 1.340 Kilometer lang ist die finnische Grenze zu Russland, es ist die längste aller Nato-Staaten. Diese zu sichern, ist oberstes Ziel der Regierung in Helsinki. Denn dass ein russischer Angriff ein realistisches Szenario ist, daran zweifelt kein Finne. An diesem Tag hat Antti Virta eine ruhige Schicht. Der Grenzpolizist steht mit drei seiner Kollegen vor dem ehemaligen Übergang von Vaalimaa, zwei weitere sitzen im Auto. 203 Kilometer sind es von hier nach Sankt Petersburg, 183 nach Helsinki. Hinter Virta und seinen Kollegen sind verschiedene Absperrungen auf der Straße aufgestellt: Es beginnt mit Pylonen, dann Absperrschranken, wie man sie von Baustellen kennt. Es folgen Metallzäune, danach eine Reihe von Betonklötzen, wie sie in Deutschland mittlerweile Weihnachtsmärkte schützen. "Immer, wenn es nötig ist" 1,5 Kilometer trennen Virta von seinen russischen Kollegen. Hinter den Absperrungen lässt sich die russische Grenze nur noch erahnen. In der Ferne brennen neben Hinweisschildern rote und grüne Lichter von Ampeln. Virtas Kollegen sind aus der Ferne nicht mehr zu erkennen. Geredet wird allerdings noch mit der anderen Seite. Laut Virta "immer, wenn es nötig ist." Allerdings habe sich die Atmosphäre in der Zusammenarbeit geändert. Die Kommunikation sei eingeschränkt, sie laufe aktuell größtenteils per E-Mail. Die illegale Migration ist laut dem Grenzschützer durch die Schließung schlagartig zurückgegangen. Weniger als 10 Fälle pro Jahr gebe es aktuell noch. Dennoch warnt er davor, die Gefahr aus Russland zu unterschätzen: Gerade sei die Lage relativ stabil, doch "schon morgen könnte die Situation völlig anders sein." Störsender ein Problem Aktuell beschäftigt ihn der russische Einsatz von GPS-Störsendern. Wer sich in der Nähe der Grenze aufhält, muss damit rechnen, dass Kartenapps einen falschen Standort anzeigen, erklärt Virta. Handys sollten hier ohnehin besser in den Flugmodus geschaltet werden. Hackerangriffe sind nicht auszuschließen, falls sich ein Telefon ins Netz eines russischen Anbieters einwählt. An der Front in der Ukraine kommen solche Störsender zum Einsatz, damit Drohnen oder Raketen ihr Ziel verfehlen. "Die russische Seite will sich damit vor der Ukraine schützen", erklärt Virta. Man befürchte im Kreml wohl, dass ukrainische Drohnen aus dem finnischen Luftraum nach Russland gelangen könnten. Solche Fälle gebe es seiner Kenntnis nach allerdings bislang nicht. "Ein Russe bleibt ein Russe" Wer mit Politikern in Helsinki spricht, hört immer wieder, dass sich keiner von ihnen je eine Illusion über Russlands Absichten gemacht hat. "Ein Russe bleibt ein Russe, auch wenn man ihn in Butter brät", lautet ein finnisches Sprichwort. "Ein Kosak nimmt alles, was nicht am Boden befestigt ist", lautet eine andere Redensart, die Ex-Präsident Sauli Niinistö 2014 in einer Rede aufgegriffen hatte. Das Misstrauen wird aktuell genährt: Zuletzt häuften sich die Luftraumverletzungen in Nato-Staaten, die mutmaßlich auf das Konto Russlands gehen. Zuletzt wurde in Finnland etwa eine Drohne über einem Wasserkraftwerk in Lappland gesichtet, die Hintergründe werden noch ermittelt. Finnland habe "alle Befugnisse und Mittel", um auf solche Situationen zu reagieren, sagt Verteidigungsminister Antti Häkkänen bei einem Pressegespräch in Helsinki. Die finnische Luftwaffe sei "stark und wachsam" und könne innerhalb von Minuten auf eine Bedrohung reagieren. "Mit kühlem Kopf" Zudem unterstützt der Minister die EU-Initiative, ein gemeinsames Drohnenabwehrsystem zu errichten. Fragt man ihn, ob Finnland auch einen Abschuss von Drohnen oder Kampfflugzeugen genehmigen würde, möchte er sich nicht festlegen. Die Reaktion sei abhängig von der jeweiligen Situation. Deutlicher wird Häkkänen dagegen, wenn man ihn auf die Truppenbewegungen hinter der finnischen Grenze anspricht: Er nehme wahr, dass Russland aktuell Militärstandorte entlang der Grenze modernisiert. Sollte es einen Frieden in der Ukraine geben, glaubt der Verteidigungsminister, dass Russland sich umorientieren könnte, und zwar in Richtung der Nato-Ostflanke. Darauf bereite sich Finnland "mit einem kühlen Kopf" vor. Auch Mari Rantanen sieht in Russland eine Bedrohung. Die Innenministerin erzählt bei einem Pressegespräch in Helsinki, dass sich die finnische Sicherheitslage verschlechtert habe, und das liege an Russland. Die Sicherheitsvorkehrungen, die das Land an der Grenze treffe, seien daher nicht nur für den Schutz des Landes gedacht, sondern für alle Staaten der EU und Nato : "Also ist es auch eure Grenze." Die finnische Regierung hat weitere Maßnahmen zur Grenzsicherung beschlossen. 200 Kilometer sollen an dem Übergang künftig von einem Zaun geschützt werden. Die Hälfte davon ist laut Rantanen bereits errichtet, die zweite Hälfte soll im kommenden Jahr folgen. Auch aus einem Anti-Landminenabkommen ist die Regierung ausgestiegen. Konkrete Pläne, Minen zum Grenzschutz einzusetzen, sind aber bislang nicht bekannt. Rund um Vaalimaa steht schon ein Teil des Grenzwalls. Von dem abgesperrten Grenzübergang geht es über Schotterwege vorbei an grünen Wiesen und einzelnen nordischen Holzhäusern. Schilder warnen davor, sich dem Zaun zu nähern. 3,50 Meter inklusive Stacheldraht ist die Anlage hoch, dazu wird sie mit Kameras gesichert. Man wolle mit dem Zaun eine weitere Hürde für illegale Migranten errichten, erklärt Grenzschützer Antti Virta. Bis zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 war die Grenze in Vaalimaa noch ein viel befahrener Ort. Allein 2013 passierten mehr als 3,5 Millionen Menschen den Übergang. Noch heute finden sich dort Spuren aus dieser Zeit. Unmittelbar neben der geschlossenen Grenzanlage steht ein Schild, das auf ein Outlet-Center verweist, Name: "Zar". Es wirbt mit "Weltmarken, Restaurants und Cafés" – in kyrillischer Schrift. Ende 2022 meldete das Shoppingcenter Insolvenz an. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein weiteres großes Einkaufszentrum, auf dem riesigen Parkplatz davor haben sich an diesem Nachmittag nur wenige Autos verirrt. "Niemand will das kaufen" Topi Heinänen ist seit Anfang 2025 Bürgermeister von Virolahti. Er blickt zwiespältig auf das, was in der Region passiert. Früher sei er selbst häufiger nach Sankt Petersburg gereist. Mittlerweile wisse er nicht, ob das jemals wieder möglich sei. "Wir haben einen großen Teil unserer Wirtschaft verloren", sagt Heinänen. Heute sei die E18 eine der "leersten Straßen der Welt". Das "Zar"-Outlet soll für einen zweistelligen Millionenbetrag errichtet worden sein. Inzwischen könne man es wohl für 100.000 Euro erwerben, schätzt der Bürgermeister. "Aber niemand will das kaufen." Weil es weniger Jobs gibt, verlassen auch die Menschen die Region: Eine Schule und ein Kindergarten wurden laut dem Bürgermeister in der Region bereits geschlossen. Trotzdem sei die Entscheidung, die Grenze dichtzumachen, wegen der Sicherheitslage richtig gewesen. Man müsse sich jetzt eben umorientieren: Heinänen sieht Potenzial in der Solarenergie. Er sei auf der Suche nach Investoren. In Hamina, einer Stadt in der Nähe, betreibt Google ein großes Rechenzentrum, das den Strom vielleicht gebrauchen könne. Windkraft sei dagegen schwierig, denn die Räder könnten die Radarsysteme des Militärs stören. Mikko Suur-Uski hat dagegen weniger Verständnis für das Handeln der Regierung. Der 47-Jährige braut in einem Gehöft in der Gemeinde sein eigenes Bier. Virolahti sei für ihn "vermutlich der beste Ort in der großen, weiten Welt", sagt der Bierbrauer zur Begrüßung. Er glaube im Gegensatz zu seinem Bürgermeister nicht, dass die Grenzschließung nötig sei, sagt Suur-Uski, während er hinter der Theke Biere zapft. Man müsse einfach den Krieg beenden. Auf die Frage, wie das funktionieren soll, hat er allerdings keine Antwort: "Macht es einfach." In einer Sache sind sich Heinänen und Suur-Uski allerdings einig. Würden sie für ihr Land kämpfen, wenn es von Russland angegriffen wird? "Natürlich", sagen beide, ohne zu überlegen. Transparenzhinweis: Dieser Text entstand im Rahmen einer Pressereise der deutschen Vertretung der Europäischen Kommission.