Klausur in Villa Borsig: Union und SPD ringen um Verbrenner-Aus
Union und SPD wollen bei ihrer Klausur in der Villa Borsig mit einer Modernisierungsagenda punkten. Doch die Probleme lauern woanders. Zumindest der Kanzleramtsminister ist offensichtlich bester Stimmung. "Ich persönlich freue mich da sehr drauf, muss ich sagen", sagt Thorsten Frei und lächelt. Frei sitzt am Montag im Kanzleramt vor Journalisten und erklärt gerade, was die Bundesregierung am Dienstag und Mittwoch so machen wird auf ihrer Klausurtagung in der Villa Borsig, knappe zwanzig Kilometer entfernt vom Berliner Regierungsviertel am Tegeler See. Das Treffen des Bundeskanzlers mit seinen Ministern böte die Chance, sagt Frei, "mal über den Tellerrand in jeder Hinsicht hinauszublicken, ein paar strategische Fragen in den Blick zu nehmen". Es sei "ganz entscheidend", sich über "einige Grundausrichtungen als Kabinett in seiner Gesamtheit" zu verständigen. Könnte helfen. Denn die Liste der Probleme von Union und SPD ist lang. Und wie die Grundausrichtung der Bundesregierung zu einigen wichtigen Fragen aussieht, das ist nicht nur zwischen Union und SPD umstritten, sondern manchmal sogar innerhalb der Parteien. Besonders große Sorge macht der Koalition die Schwäche der deutschen Wirtschaft. Das Oberthema für die Klausur ist dann auch die "Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes", wie Thorsten Frei es sagt. Um eine Hightech-Agenda soll es gehen, um Forschung, Entwicklung und Innovation. Mit einer Modernisierungsagenda soll es außerdem jetzt wirklich mal gelingen, die Bürokratie zurückzubauen. Klingt gut und wichtig. Wirklich kompliziert dürfte es aber an anderer Stelle werden. Es gibt einen sprichwörtlichen Elefanten im Raum der Villa Borsig. Klimaneutral 2045 – oder doch später? Die deutsche Wirtschaft leidet nicht nur unter einem konjunkturellen Tief, sondern auch an einer Strukturschwäche, die ihre Zukunft gefährdet. Die Auto- und Stahlindustrie, traditionell das Rückgrat der deutschen Industrie, wird zeitgleich von mehreren Erschütterungen heimgesucht: hohe Energiekosten, die Trump-Zölle, eine harte Konkurrenz aus China und daraus folgende Exportverluste treiben die deutschen Unternehmen auf eine Rutschbahn. Die wirtschaftliche Flaute lässt die Debatte um die Klimaziele wieder aufbrechen. Bis 2050 will die EU CO2-neutral werden, um die globale Klimakrise zu bekämpfen. Damit das europaweit gelingt, hat Deutschland beschlossen, dieses Ziel schon 2045 zu erreichen. Zu ambitioniert, heißt es längst von manchen Unternehmen der Stahl-, Auto-, Maschinenbau- und Chemiebranche. Im einflussreichen Wirtschaftsflügel der CDU gibt es große Sympathien dafür, von den bisherigen Klimazielen abzurücken. Darüber ist allerdings nur intern und hinter vorgehaltener Hand gesprochen worden. Bis jetzt. "Laufen Gefahr, unser Land zu deindustrialisieren" Der CDU-Politiker Tilman Kuban hat den sprichwörtlichen Elefanten im Raum nun erstmals offen benannt. "Wenn wir bis 2045 80 Prozent schaffen, wäre das großartig", sagte Tilmann Kuban der "Welt". "Erst dann sollten wir neu diskutieren, wie wir mit den restlichen 20 Prozent verfahren und zu welchen Kosten." Die Kernfrage sei, "ob wirklich die Welt untergeht, nur weil in Deutschland noch ein paar Kohleöfen laufen, um Stahl zu produzieren, oder weil hier noch ein paar Verbrenner auf der Straße fahren und möglicherweise noch nicht jedes Haus vollständig gedämmt ist". Am Montag legte Kuban nach. "Wir laufen Gefahr, unser Land zu deindustrialisieren – und damit nicht nur Arbeitsplätze in der Wirtschaft zu verlieren, sondern auch den Zusammenhalt Europas", sagte er t-online. "Von vielen Kollegen aus Frankreich , Polen und anderen osteuropäischen Ländern wird sogar das Klimaziel 2050 infrage gestellt – an Klimaneutralität 2045 denkt dort niemand." Klima- und Industriepolitik müssten pragmatisch und realistisch zusammengedacht werden. Also Klimaziele verschieben? In der SPD, aber auch in der CDU gibt es Widerspruch. "Angesichts des fortschreitenden Klimawandels bleibt auch Klimaschutz eine herausragende Aufgabe", sagt der zuständige Unions-Fraktionsvize Andreas Jung t-online. "Es ist kein Jahr her, seit wir uns im Wahlprogramm und Koalitionsvertrag zur Klimaneutralität 2045 bekannt haben." Angesichts der wirtschaftlichen Situation brauche es beim Klimaschutz "Planungs- und Investitionssicherheit mit stabilen und verlässlichen Rahmenbedingungen" und gleichzeitig "pragmatische Wege zur Umsetzung", sagt Jung. "Das Ziel steht also, wir werden es aber nur erreichen, wenn wir Klimaschutz, wirtschaftliche Stärke und sozialen Ausgleich unbedingt miteinander verbinden." Knackpunkt Verbrennerverbot Ein zentraler Streitpunkt ist das Aus für Verbrennungsmotoren. Ab 2035 sollen Fahrzeuge, die mit Verbrennern angetrieben werden, in der EU keine Zulassung mehr erhalten. Darauf hatten sich die EU-Staaten zumindest 2022 geeinigt. Doch die Weltlage hat sich seitdem verändert. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Energiepreise in Europa explodieren lassen. Die US-Zölle – 15 Prozent auf alle EU-Importe, 50 Prozent auf Stahl- und Aluminiumprodukte – schnüren den deutschen Erzeugern zunehmend die Luft ab. Zugleich bleibt die Nachfrage nach Elektroautos in Deutschland weit unter den Erwartungen. In der schwarz-roten Koalition ist daher ein offener Streit über das Verbrenner-Aus ausgebrochen. Der Bundeskanzler scheint sich inzwischen festgelegt zu haben. "Ich werbe gegenüber der EU-Kommission dafür, dass wir dieses Verbrennerverbot aufheben", sagte Friedrich Merz am Freitag. Es müsse der Automobil- und Zulieferindustrie überlassen bleiben, den technologischen Weg zur CO2-Neutralität aufzuzeigen. Allerdings räumte der Kanzler ein, noch nicht alle Koalitionäre vom Aus fürs Verbrenner-Aus überzeugt zu haben. Und meint damit die SPD. SPD ringt um neue Position Noch tun sich viele Sozialdemokraten schwer damit, ihre Position beim Verbrenner-Aus zu lockern. Doch angesichts der dramatischen Lage bei manchen Herstellern erkennt auch die SPD, dass sie etwas ändern muss. Einer der Treiber ist der niedersächsische Ministerpräsident Olaf Lies. In einem Positionspapier schrieb Lies vor Kurzem: "Das Ziel, 2035 ausschließlich reine E-Autos zu verkaufen, ist leider unrealistisch." Stattdessen sollten Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren wie Plug-in-Hybride und Elektroautos mit Range-Extender über 2035 hinaus zugelassen werden dürfen. Plug-in-Hybride kombinieren einen Verbrennungs- mit einem Elektromotor, Range-Extender sind kleine Verbrennungsmotoren, die bei E-Autos die Reichweite vergrößern. In Niedersachsen ist die Autoindustrie von herausragender Bedeutung: Rund 340.000 Erwerbstätige hängen direkt oder indirekt von der Kraftfahrzeugherstellung ab. Neben VW als einem der größten Arbeitgeber betreiben auch wichtige Zulieferbetriebe hier große Werke. Entsprechend hart schlägt der sinkende Absatz der E-Autos durch. Das VW-Werk Emden etwa, das einzige reine E-Auto-Werk des Konzerns, musste seine Fertigung drosseln und bittet Mitarbeiter, in anderen Werken auszuhelfen. Um die Klimaziele mit den Nöten der deutschen Industrie in Einklang zu bringen, hat sich in der SPD ein loser Koordinierungskreis gebildet. Er soll eine neue Position erarbeiten, die sich weiterhin zum Klimaziel 2035 bekennt, aber einen neuen Weg vorschlägt, der auf Sonderregeln für die geplagte Autoindustrie hinauslaufen könnte. Niedersachsens Regierungschef Lies berät sich dabei mit Bundesumweltminister Carsten Schneider und den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Esra Limbacher und Armand Zorn. Auch Saarlands Regierungschefin Anke Rehlinger soll im Hintergrund mitmischen. Am 9. Oktober braucht es eine Position Viel Zeit bleibt Union und SPD nicht, ihre Position zu klären. Am 9. Oktober soll der Autogipfel im Kanzleramt stattfinden. Spätestens dann erwarten die Unternehmenschefs eine einheitliche Position der Bundesregierung, wie sie der strauchelnden Industrie zu helfen gedenkt. Dass sich die Koalition dabei manchmal selbst im Weg steht, zeigt die aufgeheizte Debatte der vergangenen Wochen. In der SPD kritisiert man die ständigen Einlassungen der Union, die fast täglich mit knalligen Schlagzeilen das Verbrenner-Aus unter Beschuss nimmt. Das erschwere eine Einigung, heißt es in der SPD, man wolle nicht als Umfaller dastehen. Kanzler Merz selbst hat das am Wochenende erleben müssen. Seine Ankündigung, das Verbrenner-Aus bei der EU-Ratssitzung am Mittwoch besprechen zu wollen, kam in der SPD überhaupt nicht gut an. Es dauerte nicht lange, bis die Ersten offen widersprachen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Roloff, der sich kürzlich bei t-online für eine Aufweichung des 2035er-Ziels offen gezeigt hatte , kritisierte Merz scharf: "Wer den Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner infrage stellt, gefährdet die langfristige Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und verunsichert die Wirtschaft", sagte Roloff dem "Tagesspiegel". Die verkehrspolitische Sprecherin Isabell Cademartori warnte am Montag vor einer "Aushöhlung" des Verbrennerverbots. Die Koalition hat also noch einiges zu besprechen. Da kommt die Klausur in der Villa Borsig wie gerufen.
