IAA München: Autohersteller aus China drängen auf den Markt
Chinesische Hersteller stellen auf der IAA die größte nationale Gruppe hinter den deutschen Firmen. Sie drängen auf den Markt für Elektroautos. Was kommt da auf uns zu? In einem Autohaus, etwa drei Kilometer von der Münchener Messe entfernt, öffnet sich eine Tür: Es steigt Partynebel auf, eine silberne Limousine rauscht herein. Auf der Vorderhaube balanciert eine Pyramide aus Champagnergläsern. Der Wagen fährt über drei Bodenwellen, verschüttet dabei aber keinen Tropfen Alkohol. Die Zuschauer im Saal applaudieren. Die silberne Limousine heißt ET9, Markenname: Nio, hergestellt in China . Dann betritt Hui Zhang, Europachef von Nio, die Bühne: "Wir sind führend in Innovation", erklärt er stolz. Auf deutschen Straßen mögen chinesische Autos noch Exoten sein. Beim Besuch auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München ist die Präsenz der chinesischen Hersteller jedoch unübersehbar. In der Volksrepublik bauen sie vor allem günstige E-Autos, gegen die deutsche Hersteller in China bereits klar ins Hintertreffen geraten sind. Jetzt wollen die chinesischen Autobauer auch hier ihre Fahrzeuge anbieten. Sind deutsche Hersteller bereit für die neue Konkurrenz? Opel-Chef Florian Huettl : So günstig soll der neue Corsa werden VW in China : Deshalb setzt der Autobauer auf Verbrenner und E-Autos Der chinesische Autobauer Nio betreibt den Standort in München seit 2023. Die Autos sind teuer: Der mit Champagnergläsern dekorierte ET9 ist ab 2026 verfügbar und soll rund 100.000 Euro kosten. Der Wagen kann mit seiner Federung auf und ab tanzen und sich passend zu Filmen bewegen, die auf den vielen Fernsehern im Innenraum laufen. In der Mitte der Konsolen blinzeln zwei Micky-Maus-Augen von der KI-Assistenz Nomi. Sie kann jede Bewegung des Fahrers verfolgen. Nio verkauft weltweit rund 220.000 Autos, die meisten davon in China. Dort werden sie auch gebaut. Um sie in Deutschland zu verkaufen, werden Einfuhr- und Strafzölle von insgesamt 30 Prozent fällig. Trotz der innovativen Produkte ist Nio in Deutschland bislang nicht erfolgreich: Im Jahr 2024 hat das Unternehmen nur knapp 400 Fahrzeuge verkauft und befindet sich im Verlustbereich. Auf dem Messegelände selbst ist Nio dieses Jahr nicht vertreten. Das Unternehmen trimme derzeit alles auf Profitabilität und habe sich deshalb einen Stand gespart, erklärt ein Sprecher. Doch auch ohne Nio hat sich der Anteil der chinesischen Autoindustrie auf der IAA rasant erhöht. In diesem Jahr sind 116 chinesische Aussteller vertreten, bei der vergangenen IAA 2023 waren es noch 75. Chinesische Hersteller und Zulieferer stellen damit die größte nationale Gruppe hinter den deutschen Firmen. Auf der Straße ist ihr Anteil noch geringer, zuletzt jedoch stark gestiegen. In den vergangenen zwei Jahren konnten chinesische Hersteller ihren Marktanteil in Europa auf rund fünf Prozent verdoppeln – im Bereich der Stromer liegt ihr Anteil inzwischen bei acht Prozent. Der rasante Aufstieg der Autobauer Beim Rundgang über das Messegelände springen die zahlreichen chinesischen Stände sofort ins Auge. Viele der Aussteller dürften hiesigen Verbraucherinnen und Verbrauchern kaum bekannt sein. Doch Dongfeng, GAC, Govy, Aito, und Xpeng sind längst Milliardenkonzerne, die in der Volksrepublik größtenteils seit den 1990er-Jahren entstanden sind. Das war möglich, weil Peking bereits vor 20 Jahren einen E-Auto-Plan verkündet habe, sagt China-Experte Frank Sieren : "Im Zentrum des Auto-Booms stehen Batterien." China stellt rund 70 Prozent der weltweiten Produktion Seltener Erden und dominiert mit einem Marktanteil über 75 Prozent auch die globale Batterieproduktion. Zudem hat der Staat Rahmenbedingungen geschaffen, durch die E-Autos heute günstiger sind als Verbrenner. "Der Strom ist viel billiger und sie haben eine bessere Ladeinfrastruktur", erklärt Sieren. Dadurch ist China in Innovation und Massenproduktion von elektrischen Fahrzeugen weltweit führend. Selbst in Europa können die Hersteller ihre Autos so zu kompetitiven Preisen anbieten, obwohl hohe Autozölle fällig werden. Die Unternehmen drängen jetzt nach Westen, weil der Markt in China überhitzt ist. Aufgrund staatlicher Subventionen gibt es dort inzwischen mehr als 130 Autobauer, die den Markt mit günstigen E-Autos überschwemmen. Es herrscht ein Preiskampf, durch den die Gewinnspannen der Hersteller immer weiter schrumpfen. Alle Autobauer stehen unter großem Druck, viele werden wohl nicht überleben. "Wenn der Staat den Automarkt konsolidiert, etwa mit strengeren Kreditvergaberegeln, werden die kleinen, unrentablen Produktionen von den großen größtenteils geschluckt", sagt Sieren. Europa gilt als Automarkt mit den höchsten Margen und ist deshalb für die Anbieter äußerst attraktiv. BYD: Der Branchenprimus Der größte chinesische Hersteller ist BYD (Abkürzung für "Build your Dreams"). Das Unternehmen aus der Millionenstadt Shenzhen ist erst seit gut 20 Jahren in der Automobilproduktion tätig. 2025 hat der Konzern bereits knapp drei Millionen Autos verkauft. In Europa ist der Autohersteller bislang vor allem in Großbritannien , Italien und Spanien erfolgreich. Außerhalb Chinas verzeichnet BYD ein Wachstum von 137 Prozent. Zur Pressekonferenz betritt Vizechefin Stella Li die Hauptbühne der IAA – dort wird Bundeskanzler Friedrich Merz einen Tag später erklären, dass sich Deutschland weiter für den Verbrennungsmotor starkmacht. Stella Li erklärt: "BYD ist in Europa, um zu bleiben." Ende des Jahres soll die Produktion im ersten eigenen Werk in Ungarn starten. Dort wird der Dolphin Surf gebaut, ein elektrischer Kleinwagen. Zur Markteinführung gab es ihn für 20.000 Euro zu kaufen, in China kostet er etwa die Hälfte. In Deutschland hat der Konzern bislang ein Netzwerk von 100 Händlern, bis Ende nächsten Jahres sollen es dreimal so viele werden. Deutschland-Chef Lars Bialkowski erklärt die Strategie so: "Es geht um Nähe, Zugang und Vertrauen." VW verspätet sich Auf der IAA gilt: Je größer ein Messestand, desto wichtiger erscheint ein Unternehmen. Volkswagen und BMW haben daher kleine Städte aufgebaut, mit eigenen Restaurants, Büros und Bühnen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutschen Autobauer den Chinesen hinterherlaufen. Die Münchener etwa haben gar kein günstiges E-Auto im Angebot. Stattdessen stellen sie gleich mehrere Modelle des neuen IX 3 aus, der das Unternehmen retten soll. Die Wolfsburger dagegen zeigen den ID. Polo , der mit altem Namen positive Erinnerungen wecken soll. Den elektrischen Polo gibt es ab 2026 für rund 25.000 Euro zu kaufen. Das noch günstigere Einstiegsmodell ID. Every1 (soll 20.000 Euro kosten) verzögert sich jedoch wohl bis 2027. Bis dahin bleiben chinesische Hersteller wie BYD in dieser Klasse konkurrenzlos. Bei Volkswagen gibt man sich trotz allem gelassen. VW-Markenchef Thomas Schäfer vergleicht die vielen neuen Marken mit dem Aufstieg japanischer und südkoreanischer Hersteller im vergangenen Jahrhundert . Die Konkurrenz müsse noch ein Vertriebsnetz aufbauen – der Vorsprung deutscher Marken bleibe vorerst bestehen. Doppelstrategie: Verbrenner und Stromer Doch wie lange noch? Während viele chinesische Hersteller aufgrund politischer Anreize und großer Kundennachfrage ausschließlich Elektroautos bauen und weiterentwickeln, fahren die deutschen Hersteller eine Doppelstrategie. Sie bauen zwar E-Autos, setzen gleichzeitig jedoch auch weiter auf den Verbrennungsmotor. Dafür gibt es auf der IAA sogar Rückendeckung aus der Politik. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder forderte: "Weg mit dem einseitigen Verbrenner-Verbot." Der baden-württembergische CDU-Chef Manuel Hagel behauptete zudem, das Verbrenner-Aus "schwächt unsere Industrie und gefährdet Tausende Arbeitsplätze". Die EU plant nun, das Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 zu prüfen. Doch durch die Doppelstrategie drohen die Hersteller weiter zurückzufallen. Experte Sieren sagt: "Die Deutschen sind in wenigen Jahren vom Treiber zum Getriebenen geworden, nachdem sie jahrzehntelang die Richtung und das Tempo der globalen Autoindustrie bestimmt haben." Bei dem aktuellen Innovationsschub in der Autoindustrie sind sie nur am Rande dabei. Das beste Beispiel dafür ist das Geschäft von Volkswagen in China. Dort waren die Wolfsburger einst führend und trugen zur Erstmobilisierung vieler Menschen bei. VW-Chef Schäfer sagt: "Wir haben das Land vor 40 Jahren erst auf die Räder gestellt." Doch seit dem Elektro-Boom fallen die Verkaufszahlen immer weiter zurück. Vor sechs Jahren lieferte VW noch rund 4,2 Millionen Fahrzeuge aus, 2024 waren es noch knapp drei Millionen Stück – davon 90 Prozent Verbrenner. Ralf Brandstätter ist VW-Chef für China . "Wir haben eine sehr starke Position im Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen. Aktuell sind wir mit deutlichem Vorsprung auf die Konkurrenz Marktführer", sagt er. Der Konzern wolle um die Position in diesem schrumpfenden Markt kämpfen. Gleichzeitig sei es auch das Ziel, sich als ernst zu nehmender Anbieter von Elektroautos zu etablieren. Dafür plant VW eine große Offensive mit über 30 neuen und elektrifizierten Modellen bis 2027 nur für den chinesischen Markt, um den Absatz wieder zu steigern. Ob das für VW in China die Wende bringen kann, ist jedoch fraglich. Opel und der Corsa Auch ein weiterer deutscher Traditionshersteller hinkt bei elektrischen Fahrzeugen hinterher. Opel wollte eigentlich bis 2028 nur noch Stromer verkaufen, doch ist davon inzwischen wieder abgerückt. Stattdessen bietet das Unternehmen nun im Rahmen einer Doppelstrategie weiter jedes Modell auch als Verbrenner an. Ein günstiges E-Auto haben die Rüsselsheimer derweil nicht im Angebot. Opel plant zwar, einen elektrischen Corsa für unter 25.000 Euro zu produzieren – doch den gibt es wohl erst ab 2028. Für den Preis ließe sich der Corsa aber nicht in Deutschland bauen, sagt Opel-Chef Florian Huettl . Opel-Mutter Stellantis geht dagegen einen anderen Weg. Anstatt sich mit dem eigenen Wissen an die Entwicklung von günstigen E-Autos zu machen, hat sich der Konzern mit Leapmotor einen chinesischen Hersteller ins Boot geholt. Dieser soll jetzt der Türöffner für das Geschäft mit günstigen Elektroautos werden. Doch der Deal birgt Tücken, denn die Partner könnten nicht ungleicher sein. Stellantis und Leapmotor: Zwei ungleiche Partner Stellantis ist ein durch mehrere Fusionen entstandenes Auto-Konglomerat, bestehend aus 14 Traditionsfirmen, die sich zum Teil schon heute gegenseitig die Kunden abjagen. Citroën und Fiat , Opel und Peugeot konkurrieren jeweils in ähnlichen Segmenten und Preisklassen. Jetzt hat sich der europäisch-amerikanische Konzern mit Leapmotor eine zehn Jahre junge Firma eingekauft, die in der Volksrepublik als "Preisschlächter“ berüchtigt ist. In China gibt es kaum einen Hersteller, der günstigere Autos verkauft. Leapmotor ist zwar mit etwas mehr als 300.000 verkauften Einheiten in diesem Jahr deutlich kleiner als etwa Konkurrent BYD. Doch dank des Stellantis-Deals hat Leapmotor in Europa nun einen entscheidenden Vorteil: Die Chinesen können auf das bestehende Vertriebsnetz des Konzerns zugreifen. In Deutschland verkauft Leapmotor schon jetzt den T03 , ein Kleinstwagen, der ab 18.900 Euro zu haben ist. Ist das nicht eine Bedrohung, unter anderem auch für Opel? Das weist Florian Huettl zurück. Der Opel-Chef, der auch an der Spitze von Stellantis in Deutschland steht, sagt: "Ich sehe es als riesigen Vorteil, dass Stellantis eine chinesische Marke anbieten kann. Somit können unsere Händler auch ihr Geschäft in diesem Preis- und Technologiebereich entwickeln." "Lifestyle, Attitude, Freedom and Art" Auf der IAA zeigen Leapmotor und Stellantis das erste Modell, das sie gemeinsam entwickelt haben. Es könnte richtungsweisend sein. Der "Lafa" ist ein Hatchback (Schrägheckfahrzeug), das sich an eine junge Zielgruppe richtet und dem Seat Ibiza ähnelt. Ab 2026 soll er für rund 25.000 Euro bei Stellantis-Händlern in ganz Europa stehen. Zur Premiere des Wagens ist Leapmotor-Gründer Zhu Jiangming angereist. In seiner Rede erklärt der Milliardär stolz die Bedeutung des Namens: "Lafa ist eine Abkürzung und steht für Lifestyle, Attitude, Freedom and Art" (Lebensstil, Haltung, Freiheit und Kunst). Dann betritt Xin Tianshu die Bühne. Der langjährige Stellantis-Manager ist für das Joint Venture mit Leapmotor verantwortlich. Er stellt klar: Der Name Lafa bleibt in China, in Europa heißt der Wagen B05. Das reiht sich ein – Stellantis nutzt für alle Leapmotor-Modelle in Europa ähnlich kryptische Bezeichnungen. Mit dem B05 hätten sie Großes vor, sagt Xin. Der chinesische Wagen soll schon bald in Stellantis-Fabriken in ganz Europa gebaut werden. Bis vor kurzer Zeit liefen die Geschäftsbeziehungen noch andersherum. Europäische Hersteller ließen ihre Autos in chinesischen Fabriken fertigen. Jetzt kommt das Modell aus der Volksrepublik, die Europäer schrauben es nur noch zusammen. Mitarbeit: Christopher Clausen